Die „vorweggenommene Erbfolge“ in Form der lebzeitigen Übertragung von Immobilien war nicht zuletzt durch die geänderten steuerlichen Bewertungsvorschriften in aller Munde. Zum Standardinstrumentarium des notariellen Übergabevertrags zählen neben vorbehaltenen Nutzungs- und Rückforderungsrechten des Veräußerers auch Regelungen zukünftiger Pflichtteilsansprüche des Erwerbers und dessen Geschwister. So wird der Veräußerer häufig ein Interesse daran haben, dass der Erwerber, der durch den Vertrag bereits zu Lebzeiten Vermögen erhalten hat, sich diese Zuwendung auf einen eventuellen, späteren Pflichtteilsanspruch anrechnen lassen muss (§ 2315 BGB). Ebenso soll verhindert werden, dass Geschwister über ihren Pflichtteilsergänzungsanspruch die lebzeitige Übertragung nachträglich konterkarieren, sodass regelmäßig gegenständlich beschränkte Pflichtteilsverzichte vereinbart werden.
Auswirkungen dieser Regelungen auf die testamentarische Erbeinsetzung
Insbesondere wenn der Veräußerer die spätere Erbregelung bereits testamentarisch getroffen hat aber auch im Fall der gesetzlichen Erbfolge, soll mit den vorgenannten Vereinbarungen im Übertragungsvertrag regelmäßig keine Änderung dieser Erbfolge herbeigeführt werden. Wird dies von dem beurkundenden Notar aber nicht unmissverständlich im Übertragungsvertrag klargestellt, so gibt er einem mit der Sache befassten Gericht die Möglichkeit, die Regelungen anderweitig auszulegen.
Weitgehende Auslegung durch das OLG Brandenburg
So nun geschehen in einer aktuellen Entscheidung des OLG Brandenburg (Beschl. v. 31.8.2022 – 3 W 55/22). Der Erblasser hatte einem seiner vier Kinder ein Grundstück unentgeltlich übertragen. In dem Übertragungsvertrag heißt es: „Die Überlassung erfolgt im Wege der vorweggenommenen Erbfolge unter Anrechnung auf den Pflichtteil des Erwerbers am künftigen Nachlaß des Veräußerers.“ Außerdem enthielt der Übertragungsvertrag einen gegenständlich beschränkten Pflichtteilsverzicht der Geschwister. Das OLG sah in den Regelungen des Übertragungsvertrags eine testamentarische Enterbung des Erwerbers, sodass dieser nach dem Tod des Erblassers nicht gesetzlicher Erbe geworden sei.
Für diese Auslegung zieht das Gericht zunächst die Formulierung „im Wege der vorweggenommenen Erbfolge“ heran, in der eine Enterbung mit bloßer Pflichtteilsberechtigung liegen könne. Dies werde dadurch bestätigt, dass der Vertrag auch eine Anrechnung auf den Pflichtteil anordne, was für einen Willen des Erblassers spreche, dem Erwerber solle allenfalls der Pflichtteil verbleiben. Hierfür sprächen zuletzt auch die beschränkten Pflichtteilsverzichte der Geschwister
Fazit
Die Auslegung des OLG Brandenburg ist fernliegend und sicherlich nicht verallgemeinerungsfähig. Sie zeigt jedoch, welche Auswirkungen die Verwendung auslegungsbedürftiger Rechtsbegriffe, wie der der „vorweggenommene Erbfolge“, in notariellen Verträgen haben kann. Aus notarieller Sicht ist bei der Gestaltung von Grundstücksübertragungsverträgen zu empfehlen, diese Begrifflichkeit gänzlich zu vermeiden und darüber hinaus bei einer etwaigen Pflichtteilsanrechnung klarzustellen, dass damit keine Enterbung des Erwerbers verbunden sein soll.
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