Neue Rechtsprechung zur Nachforderung von Erschließungsbeiträgen – Auswirkungen auf notarielle Grundstückkaufverträge?

Die Gemeinden erheben zur Deckung ihres Aufwands für Erschließungsanlagen, wie z.B. Straßen, Wege und Plätze, regelmäßig einen Erschließungsbeitrag von den Eigentümern der erschlossenen Grundstücke (§§ 127ff. BauGB). Daraus folgt zugleich, dass der beitrags- und abgabenrechtliche Zustand einen wertbildender Faktor eines Grundstücks darstellt (§ 6 Abs. 3 ImmoWertV).

Gefahr der Beitragspflicht für zurückliegende Erschließungsmaßnahmen

Eine Gefahr für Käufer einer Immobilie kann explizit darin liegen, dass die Gemeinde Erschließungsbeiträge für baulich bereits durchgeführte Maßnahmen bislang noch nicht abgerechnet hat. Stellt die kaufvertragliche Regelung dann für die Kostenabgrenzung allein auf das Datum des Eingangs des Beitragsbescheids ab (sog. Bescheidslösung), können Käufer in solchen Fällen mitunter zu erheblichen Nachzahlungen herangezogen werden. Die Brisanz dieser Problematik könnte nun jedoch durch aktuelle Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschl. v. 03.11.2021, Az. 1 BvL 1/19) und des Oberverwaltungsgerichts Münster (Urteil v. 08.06.2021, Az. 17 K 10842/17) ein wenig gemindert werden.

Unbegrenzte Erhebung von Erschließungsbeiträgen ist unzulässig

Das OVG Münster urteilte für die Rechtslage in Nordrhein-Westfalen, dass die Erhebung eines Erschließungsbeitrags auch ohne Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit jedenfalls nach mehr als 30 Jahren nach Eintritt der Vorteilslage unzulässig sei. Dies ergebe sich aus einer entsprechenden Anwendung von Landesverfahrensrecht in Verbindung mit dem Grundsatz von Treu und Glauben. Die Vorteilslage als Zeitpunkt des Fristbeginns liege bereits dann vor, wenn die Erschließungsanlage (im konkreten Fall eine Straße) aus Sicht eines objektiven Betrachters endgültig fertiggestellt erscheint. Eine vom Landesgesetz darüber hinaus geforderte straßenrechtliche Widmung oder eine planungsrechtliche Rechtmäßigkeit der Herstellung sei dagegen irrelevant, da solche Umstände durch den Anlieger nicht feststellen seien.

Das BVerfG verwarf die rheinland-pfälzische Landesregelung, wonach Erschließungsbeiträge nach Eintritt der Vorteilslage unbefristet erhoben werden konnten, wegen Verstoßes gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Belastungsklarheit und –vorhersehbarkeit. Dieser Grundsatz fordere eine zeitliche Begrenzung der Beitragserhebung in allen Fällen, in denen die abzugeltende tatsächliche Vorteilslage in der Sache eintrete, die daran anknüpfenden Beitragsansprüche aber wegen des Fehlens einer sonstigen Voraussetzung nicht entstünden und deshalb auch nicht verjähren könnten. Der Betroffene dürfe nicht dauerhaft im Unklaren gelassen werden, ob er noch mit Belastungen rechnen müsse. Welche Frist für eine Erhebung noch verfassungsgemäß ist, stellte das Gericht nicht fest. 30 Jahre sei aber jedenfalls zu lange.

Fazit

Auch wenn durch diese Rechtsprechung eine unbegrenzte Heranziehung von Anliegern für zurückliegende Erschließungsmaßnahmen ausgeschlossen ist, so bleibt doch die Grundsatzproblematik der Käuferhaftung für zurückliegende Erschließungsbeiträge bestehen. Insofern bietet es sich für den Grundstückskaufvertrag an, statt auf den Eingang des Beitragsbescheids für die Abgrenzung der Verantwortlichkeit auf das Datum der tatsächlichen Leistungserbringung durch die Gemeinde abzustellen. Ist ausdrücklich die Bescheidslösung gewünscht, ist dem Käufer zu raten, im Vorfeld des Kaufvertragsabschlusses den Ausbau- und Abrechnungszustand des Kaufobjektes bei der zuständigen Gemeinde zu erfragen.

Haben Sie zu diesem Thema Fragen oder Anregungen? Dann sprechen Sie meine Mitarbeiter oder mich gerne an.

Dr. Hannes Klühs

1 Feb, 2022

Weitere Themen

Immobilienrecht
Brücker und Klühs Akten
Besonderheiten im Grundstückskaufvertrag bei mitveräußerten Photovoltaikanlagen

Besonderheiten im Grundstückskaufvertrag bei mitveräußerten Photovoltaikanlagen

Wird eine bestehende Aufdach Photovoltaikanlage mitveräußert, muss dies im Grundstückkaufvertrag ausdrücklich geregelt werden. Auf diese Weise muss sich der Erwerber nicht auf gesetzliche Vermutungen verlassen, es können noch bestehende Gewährleistungs- und Garantieansprüche des Verkäufers mitübertragen und die Überleitung des existierenden Stromeinspeisungsvertrags geregelt werden. Schließlich kann die Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer gesenkt werden.

Mehr

Steuerrecht
Schenkungsteuer durch Gewährung eines niedrig verzinslichen Darlehens

Schenkungsteuer durch Gewährung eines niedrig verzinslichen Darlehens

Wird bei Zahlungsverpflichtungen ein Zinsverzicht vereinbart oder sich auf einen lediglich symbolischen Zins geeinigt, besteht das Risiko einer schenkungsteuerlichen Erfassung. Die Finanzverwaltung und die untergerichtliche Rechtsprechung sieht in der Einräumung eines zu niedrig verzinsten Darlehens eine freigebige Zuwendung nach § 7 Abs. 1 ErbStG.

Mehr

SteuerrechtUnternehmensrecht
Notarieller Berichtigungsvermerk zu einem Gewinnabführungsvertrag hat keine steuerliche Rückwirkung

Notarieller Berichtigungsvermerk zu einem Gewinnabführungsvertrag hat keine steuerliche Rückwirkung

Was passiert, wenn die notarielle Urkunde einen offensichtlichen Fehler oder eine Lücke enthält? Solche offensichtliche Unrichtigkeiten können auch nachträglich durch einen vom Notar zu unterschreibenden Nachtragsvermerk richtiggestellt werden (§ 44a Abs. 2 BeurkG). Der BFH hat nun in steuerlichen Hinsicht eine rückwirkende Wirkung eines derartigen Vermerks abgelehnt.

Mehr

Notare internUnternehmensrecht
Digitalization of the Notary’s Office Part 2 – Online Video Notarization or Certification

Digitalization of the Notary’s Office Part 2 – Online Video Notarization or Certification

Since August 1, 2022, it has been possible to establish a GmbH or a UG (limited liability company) in a newly created video notarization procedure and to pass the accompanying resolutions at the same time (appointment of managing directors). In addition, applications to most public registers (commercial register, register of cooperatives or partnership register) can now be certified online.

Mehr

Unternehmensrecht
Brücker und Klühs Notare
Notarielle Beurkundungserfordernisse bei Wandeldarlehensvereinbarungen

Notarielle Beurkundungserfordernisse bei Wandeldarlehensvereinbarungen

Da mit dem Abschluss des Wandeldarlehensvertrags weder eine unmittelbare Kapitalerhöhung verbunden, noch eine direkte Übernahme vom Geschäftsanteilen verbunden ist, wurde auch bei einer GmbH bisher eine Beurkundungspflicht gemeinhin abgelehnt. Das OLG Zweibrücken hat nun den gegensätzlichen Standpunkt vertreten und eine Wandeldarlehensvereinbarung mit Wandlungsverpflichtung mangels Beglaubigung gem. § 55 Abs. 1 GmbHG für formnichtig erklärt. Für die Praxis ergeben sich aus der Entscheidung erhebliche Haftungsrisiken.

Mehr

Nachfolgeplanung und Vorsorge
Brücker und Klühs Notare
Zulässigkeit von In-sich-Geschäften des Testamentsvollstreckers

Zulässigkeit von In-sich-Geschäften des Testamentsvollstreckers

Nach der Rechtsprechung spricht der Umstand, dass der Erblasser einen Miterben zum Testamentsvollstrecker berufen hat, dafür, dass eine Befreiung vom Verbot des Selbstkontrahierens (§ 181 BGB) gewollt war. Dies hat kürzlich auch noch einmal das OLG Köln (Beschluss vom 05.10.2022 – 2 Wx 195/22) bestätigt.

Mehr

ImmobilienrechtSteuerrecht
Brücker und Klühs Notare
Spekulationssteuer bei Veräußerung eines durch Erbteilserwerb angeschafften Grundstücksanteils

Spekulationssteuer bei Veräußerung eines durch Erbteilserwerb angeschafften Grundstücksanteils

Auch bei einem entgeltlichen Grundstückserwerb von den Miterben im Zusammenhang mit einem Erbfall ist zu beachten, dass darin in der Regel steuerlich eine Anschaffung liegt, die bei einer Veräußerung innerhalb der Spekulationsfrist zu einer Besteuerung des Veräußerungsgewinns führen kann. Das FG München hat dies kürzlich für einen Fall entschieden, in dem ein Miterbe die Erbanteile am Gesamtnachlass von den anderen Erben und damit mittelbar auch deren Mitbeteiligung an den im Nachlass befindlichen Grundstücke erworben hatte.

Mehr

Unternehmensrecht
Außerordentliche Kündigung wegen Verschmelzung des Vertragspartners

Außerordentliche Kündigung wegen Verschmelzung des Vertragspartners

Mit einer Verschmelzung nach § 2 UmwG bezwecken die hieran beteiligten Rechtsträger nicht selten die Herbeiführung der sog. Gesamtrechtsnachfolge. Diese gilt auch Vertragsverhältnisse. Die Rechtsprechung gewährt jedoch ein Sonderkündigungsrecht, wenn die Vertragsfortsetzung für den Vertragspartner unzumutbar ist.

Mehr

Notare internUnternehmensrecht
Datenschutz im Handelsregister

Datenschutz im Handelsregister

Durch eine Gesetzesänderung zur Umsetzung der EU-Digitalisierungsrichtlinie sind im Online-Portal der Handels- Genossenschafts-, Partnerschafts- und Vereinsregister seit 1. August 2022 sämtliche Inhalte ohne vorherige Registrierung und kostenfrei abrufbar. Das dadurch virulent gewordene Datenschutzproblem führte zu einer Änderung der Handelsregisterverordnung und bedingt eine angepasste Verfahrensweise im Notariat.

Mehr

Nachfolgeplanung und Vorsorge
Keine Sittenwidrigkeit eines Pflichtteilserlasses durch einen Sozialhilfeempfänger

Keine Sittenwidrigkeit eines Pflichtteilserlasses durch einen Sozialhilfeempfänger

Bereits im Jahr 2011 hat der BGH entschieden, der zu Lebzeiten des Erblassers beurkundete Pflichtteilsverzicht eines behinderten Sozialleistungsbeziehers sei grundsätzlich nicht sittenwidrig. Nunmehr hat mit dem OLG Hamm ein erstes Obergericht diese Rechtsprechung auf einen nach dem Tod des Erblassers gegenüber den Erben erklärten Pflichtteilserlass übertragen.

Mehr