Immer wieder beschäftigen sich Gesetzgeber und Gerichte mit dem gemeindlichen Vorkaufsrecht. Auch in unserem Blog haben wir erst kürzlich über die neueren Entwicklungen berichtet.
Ausweisung von Milieuschutzgebieten nimmt zu
Gerade in beliebten Großstädten mit angespanntem Wohnungsmarkt wie München oder Berlin nutzen die Gemeinden das Instrument des Vorkaufsrechts immer häufiger auch dafür, die Verdrängung von Mietern aus ihren Wohnungen zu verhindern. Hierfür weisen sie zunächst Milieuschutzgebiete aus. Dies sind Stadtteile, in denen die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung aus besonderen städtebaulichen Gründen erhalten werden soll (§ 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 4 BauGB). Daraus folgen dann zum einen rechtliche Beschränkungen bei Bau- und Nutzungsänderungen sowie für die Aufteilung in Wohnungseigentum. Zum anderen steht der Gemeinde in diesen Gebieten ein Vorkaufsrecht zu (§ 24 Abs. 1 Nr. 4 BauGB).
Aktuelles Urteil des BVerwG
Das BVerwG (Urt. vom 09.11.2021, Az. 4 C 1.20) hatte nun in einem Fall zu entscheiden, in dem das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg das gemeindliche Vorkaufsrecht bei einem Verkauf eines Mehrfamilienhauses im Milieuschutzgebiet an eine Immobiliengesellschaft ausgeübt hatte. Die Verwaltung und ihr folgend die Vorinstanzen hatten argumentiert, es drohe eine Verdrängung der bestehenden Mieterschaft aus der Immobilie, wenn in Folge der Veräußerung die Wohnungen saniert und anschließend zu höheren Mieten vermietet bzw. nach Umwandlung verkauft werden würden. Deswegen sei die Ausübung des Vorkaufsrechts durch das Wohl der Allgemeinheit gerechtfertigt (§ 24 Abs. 3 BauGB).
Indizien sprechen für erhaltungszielwidrige Nutzungsabsicht
Die Gefahr derartiger Veränderungen folgerten die Vorinstanzen aus allgemeinen Indizien, welche eine erhaltungswidrige Entwicklung befürchten ließen. So liege das Grundstück in einer gefragten Innenstadtlage und die Mieten im Objekt durchweg unterhalb des Mietspiegels. Auch der relativ hohe Kaufpreis (25fache der Jahresnettokaltmiete) sei wirtschaftlich nur zu vertreten, wenn die Mietrendite durch mieterhöhende bauliche Maßnahmen oder Umnutzungen gesteigert werde. Der Käufer habe es schließlich auch unterlassen, sich schriftlich zu verpflichten, von solchen Maßnahmen sowie von einer Aufteilung in Wohn- und Teileigentum abzusehen.
OVG Berlin-Brandenburg: entgegen Wortlaut zukünftige Verwendungsabsicht zu berücksichtigen
Der Käufer hatte sich während des gesamten Prozesses darauf berufen, dass die Ausübung des gemeindlichen Vorkaufsrechts unter anderem dann kraft Gesetzes ausgeschlossen ist, wenn das Gebäude entsprechend den Zielen und Zwecken der städtebaulichen Maßnahme genutzt wird und keine städtebaulichen Missstände bestehen (§ 26 Nr. 4 Alt. 2 BauGB). Diesen Vorgaben entsprach das Objekt zum Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses. Die Instanzgerichte hatten diesen Einwand mit dem Argument abgewehrt, es müsste über den Wortlaut hinaus auch die durch Indizien basierte zukünftig zu erwartende erhaltungszielwidrige Nutzungsabsicht des Käufers berücksichtigt werden.
BVerwG: tatsächliche Verhältnisse entscheidend
Dem ist nun das BVerwG entgegengetreten. Die Bundesrichter stellen klar, dass es für die Anwendbarkeit von § 26 Nr. 4 BauGB nur auf die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung über das Vorkaufsrecht ankomme. Eine über den Wortlaut erfolgte Berücksichtigung zukünftiger Nutzungsabsichten komme nicht in Betracht.
Fazit
Mit diesem Grundsatzurteil wird den Gemeinden das Instrument des gemeindlichen Vorkaufsrechts zum Schutze der Mieter vor Verdrängung weitgehend aus der Hand geschlagen. Nicht umsonst hat der Berliner Senat angekündigt, kurzfristig eine Bundesratsinitiative auf den Weg zu bringen, welche die bisherige vom BVerwG verworfene Praxis wieder ermöglichen soll.
Haben Sie zu diesem Thema Fragen oder Anregungen? Dann sprechen Sie meine Mitarbeiter oder mich gerne an.